Problemstellung Musikförderung (Ausgangssituation)

Die klassische Musikausbildung in der Region Chiemgau und im ganzen südbayerischen Raum kann auf eine gut ausgebaute Infrastruktur und gut ausgebildete MusiklehrerInnen zurückgreifen. Doch bis heute umfasst sie leider keine populärmusikalische Ausbildung. Wenn wir aber die Entwicklung der Neuerscheinungen von Pop- und Klassiktonträgern von 2006 bis 2015 betrachten, so müssen wir feststellen, dass sich ein großer Teil des Kulturbetriebs und der Kulturverbraucher aber gerade mit diesen Genres (Rock/Pop/Reggae/HipHop/Jazz) auseinandersetzt (vgl. BVMI, Musikindustrie in Zahlen, 2015). Somit fehlt hier ein wichtiger Aspekt in der Entwicklung junger MusikerInnen. Was dazu führt, dass der Popularmusik Talente verloren gehen.

Zudem sind die Berufschancen für junge Musiker im Populärmusikbereich nicht sehr aussichtsreich. Die durch das ArtRes zu fördernden Nachwuchsmusiker sind oft finanziell schlecht gestellt, sind oft auch teilzeit oder geringfügig beschäftigt oder haben den Schritt in eine freiberufliche Tätigkeit gewagt. Eine ungenügende Ausbildung und hohe berufliche Risiken veranlassen somit junge Talente Musikausbildung abzubrechen.

Diejenigen Musikschüler aber, die hoch motiviert sind, werden schon früh gezwungen ihre Heimatregionen zu verlassen, um eine professionelle Ausbildung zu genießen. Somit verlieren gerade ländliche Standorte wie der Chiemgau wichtige Akteure, die sich ansonsten in Vereinen und in der regionalen/internationalen Musikszene engagieren, diese ausbauen und innovative Schritte unternehmen, die verschiedenste kulturelle Einflüsse in einem kreativen Prozess verwertbar machen könnten.

NachwuchsmusikerInnen (in der Popularmusik) im Professionalisierungsprozess leben somit nicht nur in prekären Lebensverhältnissen oder leiden an einer Mehrfachbelastung aus Lohnarbeit und der Ausübung ihrer Musik, sondern müssen auch noch mit der strukturellen Benachteiligung ihrer Ausbildung zurecht kommen. Gerade in der Grundlagenausbildung und deren Verfeinerung sollte die Qualität und stetige Entwicklungsarbeit nicht von den finanziellen Mitteln der Familien abhängig sein. Ansonsten verliert die deutsche Musiklandschaft weiterhin viele Talente, die den Musikbetrieb bereichern und kreative Schübe auslösen könnten.

Als ein weiterer wichtiger Aspekt des heutigen Musikbetriebs ist die rasante Entwicklung der technischen Möglichkeiten zu erwähnen. Die Digitalisierung stellt dem Musikbetrieb revolutionäre neue Arbeitsweisen zur Verfügung. Von der Konzeption eines Stückes über den Produktionsprozess bis hin zum fertigen Medium, sei es eine CD, Platte oder eine Datei zum Herunterladen, sind die Möglichkeiten größer denn je. Die »Kultur- und Kreativwirtschaft kann als eigenständige Branche bisher durchaus mit den großen klassischen Wirtschaftszweigen mithalten, was die ökonomische Wertschöpfung betrifft. Im Zuge des digitalen Strukturwandels besteht die große Herausforderung für sie allerdings darin, ihre eigenen Identitäten entsprechend neu zu definieren und sich insgesamt neu zu platzieren.« (Söndermann, Digitalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft, 2018)

Die Möglichkeiten dieser digitalen Entwicklung sind aber noch nicht in dem Maße bei den MusikerInnen angekommen, wie es wünschenswert wäre. Obwohl sie ihre Mobilität massiv erhöht haben, können sie unterwegs noch nicht in dem Maße Content produzieren wie es wünschenswert wäre. Die digitale Verwertbarkeit von »frischer Kunst« hängt maßstäblich von den Möglichkeiten des jeweiligen Standortes ab. Gut ausgerüstete Standorte und die Entwicklung dieser Fähigkeiten sollen verhindern, dass »Künstler, Kulturschafende und Kreative an Grenzen stoßen, wenn sie nur über begrenzte finanzielle Ressourcen verfügen. Im Wettbewerb werden sie nur dann erfolgreich sein können, wenn sie wie in analogen Zeiten ein intensives Zusammenwirken von kleinen, mittleren und großen Akteuren verwirklichen können.« (Söndermann, 2018). Umso wichtiger erscheint es, die Förderung der »digitalen Fähigkeiten«, sei es nun in der Produktion oder Performance, in den Ausbildungsprozess miteinzubinden. Hier gilt es, den Nachwuchsmusikern ein Experimentierfeld zu bieten, damit der „schöpferische Akt“ der künstlerischen, kulturellen und kreativen Produktion, also der qualitative Kern der Kultur- und Kreativwirtschaft im Lichte der Digitalisierung neu überdacht und angemessen variiert werden [kann].« (Söndermann, 2018)

Ein letzter Aspekt der Musikförderung ist die direkte Verbindung der geringeren Chancen auf Verbreitung von regionaler oder nationaler Kunst-, Kultur- und Kreativproduktionen (Söndermann, 2018) und der »Dominanz großer US-Unternehmen im Internet und im audiovisuellen Bereich [als] eine Herausforderung für die kulturelle und mediale Vielfalt in Europa« (Söndermann, 2018). Denn mit den gesteigerten technischen Möglichkeiten ist – wie bereits angesprochen – auch die Mobilität der Menschen erhöht worden und somit auch die kulturelle Mobilität der MusikerInnen. Es gibt viele MusikerInnen, die durch ganz Europa touren ohne dass sich ihre Fertigkeiten und ihr Talent in einen kreativen Prozess mit den einzelnen Szenen vor Ort verbinden. Hier besteht noch großes Potenzial durch gezielte Maßnahmen, um die innovative Kraft des europäischen Kulturbetrieb auszubauen und die Rolle deutscher und europäischer MusikerInnen im globalen Musikbetrieb zu erhöhen.