LenerAlien Queen of the Grenzland
Die Felder glühen im letzten Licht, ein trockener Wind wirbelt Staub über den Asphalt. Dort, wo die Stadt aufhört und die Leere beginnt, steht Lener im offenen Scheunentor. Die Fender Strat hängt tief, die Jacke zu groß, die Augen scharf. Eine Gestalt wie ein Echo aus einer anderen Zeit – oder einer, die noch nicht ganz existiert.
Aufgewachsen auf einem abgelegenen Hof am Ende der Stadt Freising, zwischen Waldrand und horizontaler Brache. Viele Jahre dröhnten ihre verzerrten Gitarren in der leeren Scheune, durch den alten Bretterverschlag in die Einöde. Nachts zirpte und heulte der anliegende Wald. Auf Suche nach Hexen und Gespenstern schlich Lener mit ihren Drillingsschwestern durch die Bäume, später auf der Pirsch nach magischem Material für ihre ersten Songs.
Heute streift die 26-jährige mit Sketchbook durch den Wald der Stadt, den verwunschenen urbanen Orten zwischen Hauptbahnhof und Schwabing. Mit ihren 1,75m ist sie wie geboren für Observationen, schon früh zog es sie in die Zwischenräume – dorthin, wo Worte fließen, Linien verschwimmen und Musik alles zusammenhält. Die Songwriterin blickt durch den Lärm der modernen Welt auf das tiefe und teils banale Wesen der Dinge. Ruhig dechiffriert sie die Träume ihrer Freundinnen und Kommilitonen, in Münchner Cafés und Clubs gesammelte
Mosaike aus Selbstgesprächen einer Generation zwischen Optimierung und Punk. Ihre Outsider-Position ist selbst gewählt und eine klassische Perspektive der Lyrik: zwischen allen Stühlen, als stoische Beobachterin vor kollabierenden Gitarrenwänden.
Ihre Stimme rollt über die Riffs wie ein langsam Musikvideo „Can’t Be What You Want Me To Be" aufziehendes Gewitter, zwischen Barnetts Lässigkeit und Patti Smiths fiebriger Unruhe. Die Melodien taumeln zwischen Erschöpfung und Trotz, die Texte sind Skizzen auf zerknülltem Papier – rau, unfertig, ehrlich.
Texte wie kleine Comic-Orakel, geschrieben mit Edding und Herzblut. Dazu glitzert eine Bildwelt aus Skizzen – düstere, verzweigte Figuren, oft so brüchig und flüchtig wie die Geschichten, die sie erzählt. "You’re on the driver's seat and you’re driving me crazy." Ein Satz, so simpel und doch ein ganzer Mythos in sich, gesprochen mit halb spöttischem, halb verzweifeltem Lächeln. Man sieht es vor sich: Das flackernde Neonlicht auf der Windschutzscheibe, die verschwommenen Lichter einer Stadt, die sich immer schneller im Rückspiegel verliert. Ein Beifahrersitz voller Zweifel, eine Hand am Lenkrad, die zu fest zudrückt. Wohin die Fahrt geht? Egal – Hauptsache, sie rast, Hauptsache, sie fühlt sich an wie etwas, das nicht stillstehen kann.
Leners Songs sind Hymnen auf das, was war, was hätte sein können, und auf den Mut, trotzdem weiterzugehen. „Maybe in another life“, singt sie, während das Schlagzeug wie eine rasende Gedankenflut darunter brodelt. Eine Hymne für all die Entscheidungen, die nicht getroffen wurden, für all die Abzweigungen, die ins Ungewisse führten. Eine Zeile für diejenigen, die nachts wach liegen und sich fragen, was passiert wäre, wenn... – doch genau darin liegt ihre Kraft: in der Erkenntnis, dass es egal ist. Dass jede Richtung eine ist, solange sie sich echt anfühlt. Live-Session „Can’t Be What You Want Me To Be"
Lener singt diese Zeile nicht, sievschleudert sie sanft dem Universum entgegen, begleitet von Max Wörle, der mit jedem Schlag auf die Snare eine neue Schneise in den Abend reißt. Ihre Band ist kein bloßes Pop-Beiwerk, sondern eine pulsierende Maschine aus Rhythmus und Energie, ein Vehikel für das, was gesagt werden muss. Leners Gitarre knurrt und dröhnt dazu mal mit der Wucht von Josh Homme, mal mit der schrägen Eleganz von St. Vincent. Grunge war schon immer eine Musik für die Suchenden, für die, die zwischen Euphorie und Kontrollverlust taumeln. Und genau dort setzt Lener an – irgendwo zwischen Aufbruch und Abgrund. So steht sie für eine neue Generation von Songwriter:innen, die Emotionen nicht filtern, sondern transformieren – in verzerrte Gitarren, brüchige Harmonien und Texte, die nachhallen wie ein Echo aus einer längst vergangenen Zukunft.
Die Straße wird immer schmaler. Die Motoren heulen auf. Und dann? Dann kommt der nächste Song.